Neuroathletik für dein Krafttraining

Neuroaktivierungen für dein Krafttraining -Mehr Leistung durch gezielte Aktivierungen

Verbesserte Ansteuerung, Ausführung und Kraftleistung im Training? In diesem Artikel beschreibe ich  anhand von drei Hauptübungen, wie man Inhalte der Neuroathletik mit Krafttraining verbinden kann.


Die Rolle des Tonusmusters

„Viel hilft viel“ - leider gilt dieser Klassiker aus der Kraftsportszene aus neurologischer Sicht nicht, denn viel Muskulatur bedeutet nicht automatisch, dass das Gehirn auch auf die Masse zurückgreifen kann und die Muskulatur effizient einsetzen kann.Wenn ein Athlet beispielsweise ein dominantes Flexions- oder Extensionsmuster aufzeigt, können im Training Bewegungs- und Krafteinschränkungen auftreten, die durch gezielte Aktivierungen behoben werden können. Das Ziel: Das Gehirn mit vielen, genauen Informationen versorgen, damit dies leistungsfähig reagieren kann und nicht aus Schutzreaktion die Bewegung limitiert.

Wie intensiv das Tonusmuster der Extensoren und Flexoren jeweils ausfällt, wird vom Hirnstamm moduliert.

Der Hirnstamm

Der Hirnstamm bildet die Schlüsselstelle zwischen Rückenmark und Gehirn und ist in drei Bereiche unterteilt - dem Mittelhirn (Mesencephalon), der Pons und Medulla Oblongata. Von den 12 existierenden Hirnnervenpaaren liegen zehn davon im Hirnstamm. Durch die Regulierung autonomer Prozesse wie z.B. Blutdruck und Herzrate bildet er sozusagen den Gatekeeper für den Cortex. Sowohl sensorische als auch motorische Informationen werden im Hirnstamm gescannt und an das restliche Gehirn weitergeleitet. Die Hirnnerven spielen eine große Rolle, wenn es um Somatosensorik, Propriozeption, Sehvermögen, Gehör, Geschmack, Gleichgewicht und Gehör geht.

Die Hirnnerven - Extra Aktivierung im Hirnstamm

Um nun das Krafttraining durch Aktivierungen im Hirnstamm positiv zu beeinflussen , gilt es die analysierte Bewegung mit den richtigen Hirnnerven zu kombinieren.

Vereinfacht kann man sagen, dann das Mittelhirn und die Medulla für die Flexoren zuständig sind. Die Pons moduliert hingegen die Extensoren im Körper.

Mittelhirn

  • Hirnnerv 3: N. oculomotorius
  • Hirnnerv 4: N. trochlearis

Pons

  • Hirnnerv 5: N. trigeminus
  • Hirnnerv 6: N. abducens
  • Hirnnerv 7: N. facialis
  • Hirnnerv 8: N. vestibulocochlearis

Medulla

  • Hirnnerv 9: N. glossopharyngeus
  • Hirnnerv 10: N. vagus
  • Hirnnerv 11: N. accessorius
  • Hirnnerv 12: N. hypoglossus


Übungen aus dem Kraftsport

Deadlift

Squat

Pull up


Anhand von drei klassischen Übungen aus dem Krafttraining werden die Bewegungsphasen analysiert und mögliche Aktivierungen über die Hirnnerven gezeigt. Diese Methode dient hauptsächlich der Technik-und Ausführungsverbesserung. Die Übungen können dabei kurz vor dem Trainingssatz oder ggf. auch währenddessen absolviert werden. Ein isoliertes Aktivieren ohne einen entsprechenden Muskelreiz damit zu kombinieren, ersetzt kein Krafttraining im Sinne der Trainingsprinzipien.

Übung analysieren

Um das Training hinsichtlich Technik und Kraftleistung zu optimieren geht es zunächst darum, die zu verbessernde Bewegung zu analysieren und sie gegebenenfalls in Bewegungsphasen zu unterteilen.

Handelt es sich in dem zu optimierenden Bewegungsmuster um eine Extension oder Flexion? Geht es darum, die exzentrische oder die konzentrische Bewegungsphase zu optimieren?

Die minimalste effektive Dosis

In der Trainingspraxis sollte man zunächst einzelne Hirnnerven testen und mit der jeweiligen Kraftübung retesten um zu sehen, wie das Nervensystem reagiert. Im besten Fall reagiert es positiv, sprich die Bewegung ist im Retest besser. Als nächsten Schritt kann man dann einzelne Hirnnerven miteinander stacken - also kombinieren.

Es gilt jedoch der Grundsatz, die minimalste effektive Dosis zu finden, denn nicht jedes Nervensystem reagiert gleich auf einen bestimmten Reiz. Es ist durchaus möglich, dass der gewünschte Effekt aufgrund einer zu geringen oder zu hohen Intensität an Aktivierung ausbleibt.


Deadlift

Beim Deadlift wird ein auf dem Boden liegendes Gewicht aus einer stabilen Position hochgehoben.

Es handelt sich in der konzentrischen Phase um ein Extensionsmuster der Hüfte.

Wer Schwierigkeiten hat, die Strecker in ihrer Funktion zu aktivieren oder wer im Trainingsfortschritt bei einer Gewichtsgrenze feststeckt kann versuchen, durch Aktivierung der Pons die Extensoren besser anzusprechen.

 

Dabei können die Hirnnerven 5-8 vor und auch während der Ausführung gezielt eingesetzt werden.

Übung 1

Aktivierung der Pons

Möglichkeiten, die Extensoren via Pons anzusprechen sind folgende Übungen

 

Hirnnerv 5: Beißen, zum Beispiel auf ein Holzstäbchen

Hirnnerv 6: Blickfixierung außen

Hirnnerv 7: Mimik/Lächeln/Stirnrunzeln

Hirnnerv 8: Vestibuläre Aktivierung via Gleichgewichtssysteme


Dabei macht es Sinn, vorab zu analysieren ob eine Dysbalance zwischen der rechten und linke Körperseite bezüglich der Extensoren vorliegt. Körperhaltung, Bewegungsausführung und Kraftverhältnis im Vergleich sind hier beispielhafte Erkennungsmerkmale. Angenommen die rechte Seite arbeitet defizitär, kann man durch eine unilaterale Ausführung der oben genannten Punkte oder mit einer Kombination daraus die rechten Extensoren aktivieren, um den Deadlift oder andere Streckbewegungsmuster zu optimieren. Beispielhaft wird auf dem Bild eine Kombinationsmöglichkeit gezeigt, bei der auf ein Holzstäbchen auf der rechten Zahnreihe gebissen wird. Gleichzeitig wird eine Blickfixierung nach rechts außen bei gerader Kopfposition durchgeführt und auf die Erhöhung des Muskeltonus der rechten Gesichtshälfte via Mimik geachtet.

Übung 2

Vertikale Augefolgebewegungen

 

Liegt keine Dysbalance hinsichtlich der Strecker im Seitenvergleich der rechten und linken Körperseite vor, macht es in dem Fall Sinn, bilateral zu arbeiten und sich der Vermis - dem mittleren Teil des Kleinhirns - zu bedienen. Sie ist ebenfalls an der Modulation des globalen Muskeltonus beteiligt und steuert die Koordination der Augen und der Wirbelsäule. Mit Hilfe von vertikalen Augefolgebewegungen können so die Extensoren angesprochen werden. Bei dieser Übung wird ein visuelles Ziel (z.B. ein Buchstabenstift) mit den Augen verfolgt. Die Bewegungsrichtung ist dabei vertikal bei gleichbleibender Kopfposition.



Squat

Ähnlich wie beim Deadlift, werden bei der Kniebeuge ebenfalls große Teile der Muskulatur beansprucht. Um aber einen optimalen Trainingsreiz zu setzen, ist es entscheidend, die Tiefe der Kniebeuge ausführen und kontrollieren zu können. Anders als beim vorherigen Beispiel wollen wir uns nun einer exzentrischen Phase widmen und die Areale im Hirnstamm aktivieren, die die Flexionsmuster unterstützen um eine tiefe Position während der Kniebeuge kontrollieren zu können.

Wie oben beschrieben gilt grundsätzlich der Hinweis, etwaige Dysbalancen im Bewegungsapparat zu analysieren und die Aktivierungen entsprechend unilateral auszuführen um gezielt an der Schwachstelle im System, in der Bewegungsausführung und Technik zu arbeiten. In diesem Beispiel nehmen wir jedoch an, dass sich der Athlet im Allgemeinen mit der Tiefe der Kniebeuge schwer tut und es sich um kein einseitiges beugedefizitäres Muster handelt.

 

 

Übung 1

Aktivierung des Mittelhirns

 

Möglichkeiten, die Flexoren via Mittelhirn anzusprechen sind folgende Übungen

 

Hirnnerv 3:
Vergenz auf Augenhöhe via Pencip Push ups, Pupillenkontraktion via Licht, Akkommodation via Nah-Fern-Blicksprünge

Hirnnerv 4:

Vergenz auf Nasenspitzenhöhe


In der Trainingspraxis ist es wiederum sinnvoll, die Kniebeuge vorab ohne jegliche Aktivierungen zu testen um im Anschluss mit einem Retest zu prüfen, ob die jeweilige Maßnahme beim jeweilige Nervensystem für einen positiven Output sorgt. Um also im besten Fall tiefer in die Kniebeugenposition zu kommen, kann der Athlet zum einen Pencil Push ups ausführen, das heißt ein visuelles Ziel wird zu den Augen hin- und wegbewegt, wobei die Augen das visuelle Ziel ständig fixieren. Je nach Höhe gehen dabei die Augen nach innen oder nach innen unten. Entsprechend wird insbesondere Hirnnerv 3 oder 4 aktiviert. Alternativ kann man die Augenlinse durch Akkommodation ansprechen. Im Bild zu sehen sind Nah-Fern-Blicksprünge. Der Athlet soll mit seinen Augen abwechselnd zwischen einem nahen und fernen visuellen Ziel wechseln. Dabei sorgen die Ziliarmuskeln für scharfes Sehen.

Übung 2

Aktivierung der Medulla

 

Möglichkeiten, die Flexoren via Medulla anzusprechen sind folgende Übungen

Hirnnerv 9: Schlucken oder Gurgeln

Hirnnerv 10: Vagusaktivierungen/ Parasympathisches Nervensystem via Kehlkopf, Rachen (z.B. Summen)

Hirnnerv 11: Sternocleidomastoideus- und Trapeziusmuskel-Kontraktion

Hirnnerv 12: Zungenkreise


Um speziell die Medulla zu durchbluten, kann der Athlet vor beugedominanten Bewegungsmustern Flüssigkeit Gurgeln und dabei aus dem Kehlkopfbereich Summen. Intensives Zungenkreisen feuert ebenfalls in den untersten Teil des Hirnstamms und kann dabei helfen, den Muskeltonus für die Beugeposition zu begünstigen.

Natürlich können Übungen, die zur Aktivierung des Mittelhirns und der Medulla dienen, auch miteinander kombiniert werden. Es bietet sich z.B. an, das Zungenkreisen mit den Pencil Push ups zu verbinden. 

Weitere Stacking-Möglichkeiten für mehr Flexorenaktivität sind horizontale Blicksprünge, das Orten von akustischen Signalen und das periphere Sehen. Diese Fähigkeiten werden ebenfalls im Mittelhirn verarbeitet.


Klimmzug

Ein weiteres Tool, das im Krafttraining für einen positiven Output genutzt werden kann, sind die visuellen Reflexe. Hier geht es darum, kurz vor oder während einer Bewegung eine bestimmte Augenposition einzunehmen um die Haltung und die Bewegung des Körpers zu optimieren.

 

Der Klimmzug lässt sich während der konzentrischen Bewegungsphase in zwei Abschnitte unterteilen. In der ersten Phase dominiert die Extension der Schulter. Der Klimmzug kann also mit einem Blick nach oben gestartet werden um den ersten Teil der Bewegung optimal einzuleiten

Sobald man im Bewegungsmuster an den Punkt kommt, in dem verstärkt die Ellenbogen gebeugt werden, empfiehlt es sich, den Blick nach unten zu wechseln, um die Flexoren zu unterstützen und in Folge dessen besser und leichter in die Endposition nach oben zu kommen.

Aktivierung der Pons

Sakkaden (Blicksprung) nach oben in der ersten Phase des Klimmzugs

Aktivierung der Medulla

Sakkaden (Blicksprung) nach unten in der zweiten Phase des Klimmzugs



Fazit

Die Integration der Hirnnerven zur Optimierung von Bewegungsabläufen sollte niemals wahllos erfolgen und ist bezüglich eines Trainingsfortschrittes wie oben beschrieben kein Ersatz für Krafttraining mit entsprechender Progression. Wenn man aber berücksichtigt, dass jede Bewegung ihren Ursprung im Gehirn findet, kann es sehr sinnvoll sein, gezielte Aktivierungen einzusetzen um auch die letzten Prozent an Leistungspotential rauszuholen - insbesondere, wenn Dysbalancen oder Leistungseinbußen vorherrschen. Die Integration von derartigen Übungen sollte immer mit Hilfe eines Neuro-Assessments stattfinden, um zu überprüfen ob das Nervensystem mit der jeweiligen Maßnahme zur Aktivierung positiv, neutral oder negativ reagiert.